Hintergründe der Mobilitätswende

Abgasskandal, Klimakrise, autonomes Fahren, e-Autos und e-Bikes, Uber und Co.  – die Welt der Mobilität befindet sich im totalen Umbruch. Warum ist das so – und wie kann sich unsere Stadt darauf einstellen?

Vor ungefähr 100 Jahren löste das Öl die Kohle als wichtigsten Energieträger ab. Seitdem stand es für ein Wirtschaftsmodell, dessen Wachstum dank reichlich vorhandener billiger Energie scheinbar keine Grenzen kannte. Doch spätestens seit den 1970ern steht es auch für Raubbau an der Natur, für Flächenfraß, Autowahn und Intensivlandwirtschaft, für Ressourcen- und Klimakrise. Dennoch wurde seine zentrale Bedeutung für die globalisierte Ökonomie bis vor Kurzem kaum in Frage gestellt. Denn nach dem Ende der Goldbindung des globalen Währungsregimes hatte sich ein neues System herausgebildet, bei dem das Vertrauen in die Leitwährung US-Dollar auf den (ständig steigenden) Umsätzen mit Erdöl basierte. Aus dem goldgedeckten war ein ölgedeckter Dollar geworden.

Doch damit ist es seit 2014 vorbei. Aufgrund des Ölpreisverfalls reicht das Volumen des globalen Ölmarkts heute nicht mehr aus, um den Wert des Dollars zu garantieren; ein neues System tritt an die Stelle des ‘Petrodollars’. Damit entfällt der Hauptgrund, der in den vergangenen Jahrzehnten eine Abkehr vom Öl verhindert hat. Das derzeit zu beobachtende rasche Umschwenken vieler Unternehmen zeigt, dass die Technologien für die Zeit ‘danach’ längst vorhanden, jedoch politisch nicht durchsetzbar waren. VW macht aus der Not des Dieselskandals eine Tugend und setzt zunehmend auf Elektroantriebe. Neue Konkurrenten aus der Hard- und Softwarebranche mischen das Geschäft der traditionellen Autobauer auf, und die Vernetzung dank Smartphones ermöglicht völlig neue, effiziente Mobilitätsmodelle.

Was wir derzeit erleben, ist der Beginn der größten Verkehrswende der letzten 100 Jahre.

Seit der Nachkriegszeit wurde der private PKW mit Verbrennungsmotor bei uns immer mehr zum Standard der Fortbewegung, doch nun erleben wir, wie seine Zeit unerbittlich dem Ende entgegengeht. Die Globalisierung der Wirtschaft bringt auch eine Globalisierung von Ansprüchen und Lebensstilen mit sich, doch die materiellen Lebensgewohnheiten der reichen Länder lassen sich nicht verallgemeinern. Selbst wenn sie elektrisch angetrieben würden: Für mehrere Milliarden Autos fehlen der Erde schlicht die Ressourcen. Doch gleichzeitig empfinden immer mehr junge Menschen in der Großstadt den Besitz eines eigenen Autos als nicht nur unnötig, sondern einfach nur lästig. Ihre Statussymbole sind moderne Smartphones, eine gute Onlinepräsenz, stylische Accessoires und der Besuch angesagter ‘Events’.

Die Politikwissenschaftler Weert Canzler und Andreas Knie haben vor Kurzem das Buch „Die digitale Mobilitätsrevolution. Vom Ende des Verkehrs wie wir ihn kannten“ veröffentlicht. Auf der Debattenseite des Berliner ‘Tagesspiegel’ stellen sie einige ihrer Thesen dar. Sie gehen davon aus, dass sich das autonome Elektroauto durchsetzen wird – allerdings nicht als Privatfahrzeug, sondern als für Alle verfügbares Fortbewegungsmittel, das sich nach Benutzung die oder den nächste.n Fahrgast.e sucht. Wie ein Taxi ohne Fahrer.in, oder ein omnipräsentes, einfach zu benutzendes Carsharing.

Mehr Platz in der Stadt dank selbstfahrender, für Alle nutzbarer Elektroautos.

Damit würden nicht nur viel weniger Ressourcen benötigt, sondern auch weniger städtischer Raum sinnlos vollgeparkt. Es gäbe plötzlich viel mehr Platz für neue Wohnhäuser, Grünflächen oder Radwege in der Stadt. Möglich ist das nur, weil sich neue Unternehmen aus dem IT-Bereich des Themas annehmen: Diese sind weniger am Verkauf möglichst vieler Autos interessiert als an der optimalen Vernetzung (und Vermarktung, klar) von Daten. Nebeneffekte sind z.B. die Verringerung von Lärm und Luftverschmutzung, eine verbesserte Verkehrsplanung oder der mögliche Ausgleich von Schwankungen in der Stromerzeugung. Die Auswirkungen dessen auf unser aller Leben sind heute noch kaum absehbar, aber äußerst vielgestaltig. Wenn sich die traditionellen Autobauer dieser Entwicklung nicht anpassen, werden sie mittelfristig vom Markt verschwinden – das Beispiel der Stromkonzerne, die die Energiewende jahrzehntelang verschlafen haben und heute vor der Pleite stehen, möge ihnen als Mahnung dienen.

Die Zukunft ist weder vorherbestimmt noch uniform, doch was die beiden Autoren beschreiben, ist ein sehr plausibles (Teil-)Szenario. Zu einer vollständigen Vorstellung davon, wie der Verkehr in 20 oder 30 Jahren aussehen wird, gehört zweifellos auch eine deutliche Ausweitung der Bus-, Straßenbahn- und S-Bahn-Netze sowie der Fahrrad- und Elektrorad-Nutzung. Die Anteile der Verkehrsträger am ‘modal split’ werden dabei in der Großstadt andere sein als in der Kleinstadt oder im ländlichen Raum, von daher ist eine Diskussion über genaue Prozentanteile müßig. Gerade Familien kommen heute auf dem Land kaum ohne privat-PKW(s) aus; dort dürfte es auch künftig mehr Autos geben als in der Stadt. Entscheidend wird jedoch nicht zuletzt die optimale Vernetzung sein, vor allem zwischen Fahrrad und Schiene: Wenn ich weiß, dass an der Haltestelle ein Rad auf mich wartet, erweitert sich deren Einzugsbereich ganz erheblich.

Diskussion. Pilotprojekte zum Anfassen. Bürgerbeteiligung. Umsetzung.

Die Herausforderung für Bürger.innen, Kommunalpolitik und Verwaltung besteht darin, im Wissen um diese Zukunft heute die Weichen zu stellen, die den Übergang leichter und günstiger machen – und schneller, denn wer sich frühzeitig auf neue Entwicklungen einstellt, ist auf längere Sicht der Gewinner. Da der beginnende Wandel ein gradueller Prozess über Jahrzehnte sein wird, müssen jedoch auch die ersten Schritte für sich allein schon einen Fortschritt darstellen – und nicht erst im Paket wenn alles ‘fertig’ ist. Wo sollten wir also anfangen?

Ein zentrales Element jeder Veränderung ist die öffentliche Diskussion. ‘Bürgerabende’ und Zeitungsartikel sind nicht verkehrt, aber in Zeiten ‘Sozialer Medien’ anachronistisch. Wenn es Pilotprojekte gibt, etwas zum Ansehen, Anfassen und Ausprobieren, regt das Menschen dazu an, sich dafür zu interessieren und entsteht die Debatte von selbst. Und solange diese Entwicklung noch relativ neu ist, sollte es nicht schwer sein, Fördergelder von EU oder Bundesregierung zu erhalten. Warum also nicht Elektroautos für das Rathaus und städtische Betriebe anschaffen und ankündigen, nach und nach auf ‘Selbstfahrer’ umsteigen zu wollen? Warum nicht diese samstags in der Innenstadt aufstellen und ‘Schnupperfahrten’ anbieten, verbunden mit Informationsangebot und Gewinnspiel? Und warum gehen der Bürgermeister und andere Amtsträger.innen nicht mit gutem Beispiel voran und kommen mit dem e-Bike zur Sitzung?

Da kaum etwas derart die Lebensgewohnheiten beeinflusst wie die alltägliche Mobilität, und außerdem das Auto und seine Nutzung stark emotional besetzt sind, ist eine frühzeitige und breitestmögliche Bürgerbeteiligung sowie umfassende Transparenz unabdingbar. Die Anregungen und Wünsche der Bürger.innen dürfen dabei nicht nur abgeheftet werden, sondern müssen tatsächlich einen erkennbaren Einfluss auf die Planung von Politik und Verwaltung haben. Der Umbau des Verkehrssystems kann nur als gemeinsame Anstrengung Aller gelingen, wenn Alle erkennen, welche konkreten Vorteile daraus für sie erwachsen. Wenn das gelingt, ist die Mobilitätswende nicht nur zu schaffen, sondern kann dank unser aller Kreativität und ‘Schwarmintelligenz’ sogar eine ungeahnte Dynamik entfalten. Wer heute noch meint, der Bundesratsbeschluss, ab 2030 die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor zu verbieten, sei illusorisch, dürfte sich eines Besseren belehrt sehen.

Mobilität ist ein Grundrecht und muss für alle Menschen bereitstehen.

Abschließend sei noch eine grundlegendere, fast philosophische Frage aufgeworfen. Sich innerhalb der eigenen Stadt und ihrer Umgebung bewegen zu können, ist nicht nur für die Berufsausübung, sondern auch für die gesellschaftliche Teilhabe und mithin ein würdevolles Leben unabdingbar. Damit ist ‘Mobilität’ nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern auch ein Grundrecht, das allen Menschen per Verfassung zusteht. Die Realität sieht jedoch auch in unserem reichen Land angesichts von 25 Euro monatlich für Verkehr im Hartz IV-Regelsatz oftmals anders aus.

Um das zu ändern, wäre neben der Förderung des Fahrradverkehrs auch die Einführung des fahrscheinlosen oder ‘flatrate’-Nahverkehrs, bei dem Busse und Bahnen aus dem Steueraufkommen und/ oder einer Haushaltsabgabe finanziert werden, eine Möglichkeit. Die Vorteile liegen auf der Hand: Fahrgäste haben es deutlich bequemer, was die Attraktivität des ÖPNV erhöht, während die Verkehrsbetriebe die gesamte Infrastruktur für Fahrscheinverkauf und -kontrollen einsparen können. Wer regelmäßig erlebt, wie zehn Leute hintereinander einsteigen und bei der/ beim Busfahrer.in eine Karte kaufen, dürfte eine Vorstellung von der so möglichen Zeitersparnis haben.

Bergisch Gladbach ist selbstverständlich nicht die einzige Stadt, die vor verkehrstechnischen Herausforderungen steht. Daher werden nicht nur überall ähnliche Debatten geführt – es gibt auch bereits eine Überfülle von Vorbildern, Erfahrungen und Experimenten, von denen sich lernen lässt. Wir müssen nicht das Rad neu erfinden, sondern nur konsequent ‘best practice’-Vorbilder suchen und an die hiesigen Gegebenheiten anpassen. Warum also nicht über den Tellerrand schauen und auf Studienfahrten lernen, wie Holland zum Fahrradland wurde, wie Busse in Frankreich mancherorts ohne Fahrscheine funktionieren, oder wie selbstverständlich in vielen Ländern geteilte Taxis bzw. Minibusse sind? Das Auto mag bisher der Deutschen ‘liebstes Kind’ sein, doch Geschichte bleibt niemals stehen, und “wer zu spät kommt, den bestraft das Leben”. Verbrennungsmotor und Privat-PKW sind Auslaufmodelle, und es ist Zeit, dass wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen, wie wir in Zukunft von A nach B kommen wollen!

Text: Urs Kleinert